Sennentuntschi

Hansjörg Schneider | 1981 | 80 Min. | CH
04.05.2023 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Als Hansjörg Schneiders Theaterstück «Sennentuntschi» 1981 im Schweizer Fernsehen lief, kam es zu einem Sturm der Empörung. Eine medial geführte Debatte, wie sie für Skandalisierungsprozesse typisch ist, zog sich über mehrere Wochen hin. Eher untypisch: Gegen das Schweizer Fernsehen wurde auch Klage wegen Blasphemie eingereicht. Andreas Thier, Professor für Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich, führt in den Film ein.

Als Sagenmotiv ist das Sennentuntschi – mit variierenden Namen – in vielen Alpenregionen bekannt. Die Geschichten um das Sennentuntschi erzählen davon, wie einsame Sennen und Hirten auf hochgelegenen Alpen weibliche Puppen anfertigen, die zum Leben erwachen, zu sprechen beginnen und von den Älplern zum Geschlechtsverkehr missbraucht werden. Unterschiedliche Varianten der Geschichte berichten davon, wie das Tuntschi im Verlauf der Geschichte Rache übt, seinerseits die Sennen schändet oder ihnen bei lebendigem Leib die Haut abzieht.

Hansjörg Schneider verfasste aus dem Motiv ein derbes Dialektschauspiel. Bei Schneiders 1972 veröffentlichtem Stück sind es drei Sennen, die sich besoffen aus Mistgabel, Weinflasche, Stroh und Käse ein Sennentuntschi formen. Die rohe Sprache der Sennen, die im Stück portierten sexuellen Anspielungen und die Schändung selbst erregten die Gemüter. In einem Interview mit der Basler Zeitung erzählte Schneider rückblickend, dass anfänglich niemand sein Stück inszenieren wollte. Der Regisseur Reto Papst habe schliesslich arrangiert, dass «Sennentuntschi» am Zürcher Schauspielhaus im sogenannten «Nachtstudio» – unter seiner Regie – aufgeführt wurde. Die Premiere sei dann aber ein voller Erfolg gewesen: «Das Haus war bumsvoll. Die Leute schrien, applaudierten, pfiffen. […] Wir waren immer ausverkauft. Die Leute standen sogar, obwohl es keine offiziellen Stehplätze gab.»

Anders waren die Reaktionen, als das Bühnenstück neun Jahre später für das Schweizer Fernsehen inszeniert wurde. Obwohl zu später Stunde gesendet, rief der Stoff eine Welle der Entrüstung nach sich. Leserbriefschreiber:innen empörten sich über die sexualisierte Sprache und meinten, das staatliche Fernsehen zeige nun Pornographie. Eine Diskussionsrunde, die sich dem Thema annehmen und darin auch Ausschnitte der Aufzeichnung zeigen sollte, wurde von Verantwortlichen des Schweizer Fernsehens angeblich zensiert.

Im Zug der Skandalisierung wurde gegen das Schweizer Fernsehen auch eine Anzeige eingereicht. Allerdings nicht wegen vermeintlicher Pornographie, aus Empörung über vulgäre Sprache und explizite Sexualität, sondern aufgrund von Gotteslästerung. Diesen in der Geschichte des Schweizer Fernsehens doch eher seltenen Vorgang nimmt «royalscandalcinema» zusammen mit Andreas Thier genauer unter die Lupe – und reflektiert davon ausgehend eine Reihe internationaler Blasphemieprozesse gegen Filmschaffende.

Andreas Thier ist ordentlicher Professor für Rechtsgeschichte, Kirchenrecht, Rechtstheorie und Privatrecht an der Universität Zürich. Zuvor hatte er eine Professur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster inne, war Visiting Professor an der University of Chicago Law School und Gastprofessor an der Universität Wien. In seiner bisherigen Forschung hat er aus der Perspektive des Historischen vor allem danach gefragt, wie rechtliche Normativität und Rechtswissen entstehen und umgesetzt werden. Das hat sich stets mit der Frage verbunden, wie und in welchen Formen wechselnde Formationen von Gesellschaft, Wirtschaft, politischer Herrschaft und Kultur mit Recht und Rechtswissen verflochten sind. Unter anderem publizierte er dabei zu Blasphemieprozessen gegen Filmschaffende.