Sedmikrásky

Věra Chytilová | 1966 | 76 Min. | CS/de
02.03.2023 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Zwei anarchische Mädchen in der Tschechoslowakei der 1960er Jahre, die sich vornehmen, die Funktionäre der kommunistischen Partei an Korruption zu überbieten. Ein subversiver Spass, eine beissende Kritik am Patriarchat, für lange Zeit verboten. Die Slavistin und Filmkuratorin Clea Wanner erklärt weshalb.  

Langeweile ist nicht ihr Ding. Die beiden Freundinnen Marie I und Marie II leben in einer sich ständig wandelnden Kunstinstallation. Im kommunistischen Prag der 1960er Jahre frönen sie der Dekadenz und dem Hedonismus. Sie treiben Schabernack, feiern, fressen und saufen. Pompös und orgiastisch. Sie tingeln durch das Leben, nehmen lüsterne Herren aus, schrecken aber auch nicht davor zurück die arme Klofrau zu bestehlen. Dabei folgen sie gleichsam einem politischen Anliegen: Marie I und Marie II haben beschlossen, mindestens so korrupt zu sein, wie die Welt, in der sie leben.

Mit bissigem Humor, surrealen Erzählsträngen, opulenten Bildern und anarchischer Frauenpower inszenierte Vera Chytilová «Sedmikrásky», der in den deutschen Kinos als «Tausendschönchen» gespielt wurde. Zusammen mit anderen Regisseur:innen wie Jiří Menzel und Miloš Forman gehörte Chytilová zu den prägenden Figuren einer Bewegung von Filmschaffenden, die später als «Tschechoslowakische Neue Welle» bezeichnet wurde. Diese zeichnet sich nicht, wie andere Filmbewegungen, durch formale oder stilistische Einheitlichkeit aus. Insgesamt kann aber eine grosse Lust an Experimentierfreudigkeit, Improvisation und Absurdität beobachtet werden. Häufig gepaart mit Kritik am politischen System. Diese wurde möglich mit der Liberalisierung des sozialistischen Regimes und der Aufhebung der Zensur in den 1960er Jahren. Eine Phase, die allerdings nur für kurze Zeit währen sollte. Mit der gewalttätigen Niederschlagung des «Prager Frühlings» im Frühjahr 1968 durch die einmarschierenden Truppen des Warschauer Pakts wurde das angestrebte Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm im Keim erstickt.

Im Zug der Repression wurde «Sedmikrásky» verboten. Kritisiert wurde er aber schon bei seiner Veröffentlichung zwei Jahre zuvor. Stramme Kommunist:innen warfen Chytilová Nihilismus vor. Sie beanstandeten die fehlende Moral und sahen im Film wohl zurecht ein Angriff auf die Lebensweise der (männlichen) Parteifunktionäre.

Amos Vogel – der Säulenheilige von «royalscandalcinema» – war begeistert von «Sedmikrásky». In seinem Buch «Film as a Subversive Art» schrieb er 1974 zu Chytilovás Film: «Visually and structurally perhaps the most sensational film of the Czech film renaissance, this is a mad, stylish, dadaist comedy, long banned by the censors. […] No work from the East has ever been further removed from the drab sterility of so-called ‹socialist realism›.»

Der Film wird eingeführt durch die Slavistin und Filmkuratorin Clea Wanner. Wanner forscht und lehrt als Post-Doktorandin und Assistentin für visuelle Medien am Slavischen Seminar der Universität Basel. Sie studierte Slavistik, Osteuropäische Geschichte und Filmwissenschaft in Basel, St. Petersburg und Zürich. Im Rahmen einer SNF-Förderung war sie Gastforscherin am Gerassimow-Institut für Kinematographie (ВГИК) in Moskau. Unter dem Titel «Der neue kinematographische Mensch: Körperästhetiken im frühen russischen Film» promovierte sie wiederum in Basel. Neben ihrer universitären Tätigkeit ist sie als Filmkritikerin, Kuratorin und Moderatorin aktiv.