La mala educación

Pedro Almodóvar | 2004 | 105 Min. | ES/de
09.02.2023 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Vor 19 Jahren hat Pedro Almodóvar mit «La mala educación» eine scharfe Kritik am Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche in die Kinos gebracht. Kontrastiert wird die düstere Welt der katholischen Internate zur Zeit der spanischen Diktatur mit den farbenprächtigen und lebensfrohen queeren Lebenswelten der späten Neunzehnsiebzigerjahre. Die katholische Kirche und der katholisch-konservative Partido Popular waren davon alles andere als begeistert. Die Almodóvar-Spezialistin und Romanistin Isabel Maurer Queipo (Universität Siegen) führt in den Film ein.

Mit «La mala educación» hat Pedro Almodovar 2004 eine Kritik an Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche produziert. Gleichzeitig handelt es sich dabei um eine Hommage an queere Lebenswelten und die kulturelle Aufbruchstimmung, nach dem Tod des langjährigen Diktators Francisco Franco. Es ist eine verschachtelte Geschichte, inszeniert als Film Noir mit wunderbaren Bildern, unterschiedlichen Zeitebenen und mehreren – sich zuweilen widersprechenden – Erzählsträngen.

Ignacio und Enrique sind zwei Knaben, die in einem von römisch-katholischen Priestern geführten Internat zur Schule gehen. Sie verlieben sich einander und kommen sich näher. Die romantische Beziehung wird gestört durch Padre Manolo, der seinerseits ein Auge auf den Buben Ignacio geworfen hat – und sich sexuell an ihm vergreifen wird. Der Erzählstrang ist angesiedelt im Spanien der Neunzehnsechzigerjahre, als die katholische Kirche eine dominante Grösse war und der Diktatur als moralische Stütze diente. Eine zweite Erzählebene spielt im Spanien der späten Neunzehnsiebzigerjahre. Ignacio nennt sich nun Zahara und tritt als transgender Dragqueen in Cabarets und Nachtclubs auf. Zusammen mit ihrer Freundin Paca beschliesst sie, Padre Manolo mit den vergangenen Ereignissen zu konfrontieren. Unter dem Titel «La Visita» verarbeitet sie die Geschehnisse in Romanform. Eine dritte Ebene, ebenfalls im Spanien nach der Diktatur, handelt davon, wie Enrique, mittlerweile ein erfolgreicher Regisseur, das Manuskript von «La Visita» erhält – und beschliesst es zu verfilmen. Wobei die ersten beiden Erzählebenen dramaturgisch als Film im Film präsentiert werden.

Das Bild, das Almodóvar von der katholischen Kirche zeichnet, ist wenig schmeichelhaft. Ein Priester vergeht sich sexuell an den ihm anvertrauten Knaben, ein anderer verprügelt sie. Gemeinsam vertuschen sie ihre Taten. Almodóvars Blick auf den sexuellen Missbrauch ist allerdings differenziert. Er zeigt einen Priester und Lehrer, der seine Machtsituation ausnutzt und ein sexuelles Verbrechen begeht, gleichzeitig aber Gefühle für das Kind hegt. Almodóvar wollte, erklärte er in einem Interview, dass sich auf dem Gesicht des Priesters die Ambivalenz des Missbrauchs zeigten, Lust und Scham, die der Priester gleichzeitig empfindet. Almodóvar ist fasziniert von den Ritualen, Gewändern und Bildwelten der katholischen Kirche. Die Bilder, die er in «La mala educación» entwirft sind davon geprägt. Sie enthalten eine Vielzahl von Anspielungen. Etwa wenn Padre Manolo sich in der Sakristei dem jungen Ignacio annähert, vor einer Statue der Maria Immaculata, die darauf verweist, dass Maria frei von Erbsünde empfangen worden sei. Als der Film 2004 in Spanien in die Kinos kam, reagierte die katholische Kirche empört. Sie lehnte nicht bloss die im Film dargestellte queere Lebensweise und Lebensfreude ab, sondern verweigerte sich auch dem Gespräch über Kindsmissbrauch in der Kirche. Gleichzeitig wurde die Debatte um den Film – und seinen Regisseur – angeheizt, da Almódovar anlässlich einer Filmvorführung das Gerücht streute, der katholisch-konservative Partido Popular stünde – im Nachgang zu den terroristischen Anschlägen von Madrid im März 2004 – kurz davor, einen Staatsstreich zu provozieren. Almodóvar gegen die politische Rechte und den konservativen Katholizismus, die Konservativen gegen Almodóvar und die von ihm zelebrierten queeren Welten: das sind Bruchlinien, die sich nicht nur in den Filmen, sondern eben auch in ihrer Rezeption zeigen.

Die Almodóvar-Spezialistin Isabel Maurer Queipo führt in den Film und die Kontroversen, die er entfachte, ein. Maurer Queipo ist Dozentin für romanische Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft an der Universität Siegen. Sie ist Autorin und Herausgeberin einer Vielzahl an Büchern, die sich unter anderem mit Sozialkritik im lateinamerikanischen Kino, Surrealismus und Existentialismus, Pathos, Passion und Phobie, Theater und Schaulust befassen. In ihrer Studie zu «Die Ästhetik des Zwitters im filmischen Werk von Pedro Almodóvar» untersuchte sie Almodóvars Filmschaffen aus den Perspektiven von Psychoanalyse, Intermedialität und Genderforschung.