Perfect Strangers

Wissam Smayra | 2022 | 99 Min. | AR/de
02.11.2023 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Das ägyptisch-libanesische Remake des italienischen «Perfetti sconosciuti» hat in Ägypten zu massiven Protesten und Interventionen gegen die Produktionsfirma Netflix geführt. Eine spannende Debatte um Geschlechternormen, Sexualität und die Veränderung von Filmskandalen durch internationale Streaming-Plattformen.

Der Plot ist simpel: Sieben Freundinnen und Freunde treffen sich zu einer Dinner Party in einem der schicken Vororte von Beirut. Während des Essens diskutieren sie über die Affäre eines abwesenden Freundes und darüber, ob es in einer Beziehung legitim sei, das Mobiltelefon der jeweils anderen Person zu lesen. Davon ausgehend beschliessen sie, ein Spiel zu spielen. Alle Anwesenden sollen ihre Mobiltelefone offen auf den Tisch legen und sämtliche Nachrichten, E-Mails oder Anrufe, die auf dem Handy eingehen, mit den ganzen Tischgesellschaft teilen. Die Dramaturgie des Films verlangt danach: Mit dem Fortschreiten des Spiels, kommen immer mehr Geheimnisse ans Licht und die Beziehungen der Tischrunde werden auf die Probe gestellt.

Die Idee einen Film über ein Mobiltelefonspiel im Freundeskreis erwies sich als äusserst erfolgreich. Entwickelt wurde es von Paolo Genovese, der 2016 als «Perfetti sconosciuti» die italienische Originalfassung drehte. Bis 2023 wurden 24 länderspezifische Adaptionen gedreht. Eine indische Version ist für 2024 angekündigt. Für Furore haben die Filme, die zwischen Komödie und Drama mäandrieren kaum gesorgt. Mit Ausnahme der Version von Wissam Smayra von 2022.

Dabei handelt es sich um eine Koproduktion dreier Filmstudios aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Libanon und Ägypten im Auftrag von Netflix. Dabei handelte es sich um den ersten arabischsprachigen Netflix-Film, der von arabischen Filmstudios produziert wurde. Die Rollen der Freundinnen und Freunde werden von Stars der arabischen Filmwelt gespielt. Darunter etwa die ägyptische Schauspielerin Mona Zaki, die libanesisch-kanadische Schauspielerin Nadine Lakaki, der libanesische Schauspieler, Comedian und Fernsehmoderator Adel Karam oder der libanesische Schauspieler und Autor Georges Khabbaz.

Am 13. Januar 2022 wurde der Film in drei Sprachvertonungen und 31 Untertitelversionen auf Netflix gestellt und wurde zu einem panarabischen Erfolgsfilm. Während seiner ersten Woche wurde die arabische Version von «Perfect Strangers» zum meistgeschauten Netflix-Film in Marokko, Ägypten, dem Libanon, Jordanien, Kuwait, Katar, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman und Saudi-Arabien; in Frankreich landete er auf dem zweiten Platz der Palmarès.

Aus der Perspektive von Netflix, Wissam Smayra und den involvierten Produktionsstudios handelt es sich bei «Perfect Strangers» also um eine Erfolgsgeschichte. Anders sahen es wertkonservative Kreise im arabischen Raum. Die Szenen, in denen Wein getrunken wird, sexuelle Handlungen offen thematisiert werden, aussereheliche Affären ans Licht kommen und Homosexualität als legitime Form sexueller Orientierung verteidigt wird, sorgten für scharfe Kritik.

Im ägyptischen Parlament wurde verlangt, dass der Film von Netflix entfernt werden müsse oder dass Netflix in Ägypten verboten werden solle. Mustafa Bakry, ein ägyptischer Parlamentarier und prominenter Fernsehjournalist, forderte den sofortigen Abbruch sämtlicher Netflix-Projekte mit ägyptischer Beteiligung. Der Anwalt Ayman Mahfouz drohte damit, das ägyptische Kulturministerium zu verklagen, sollte es den Film nicht verbieten. «Perfect Strangers» verbreite «soziales Gift», verderbe die «Moral und Etikette der Gesellschaft» und stärke «die Idee von sexueller Freiheit», meinte er gegenüber des Medienportals «Egypt Independent». Das «grösste Verbrechen» des Films sei allerdings die darin verbreitete «Sympathie für Homosexuelle», meinte Mahfouz weiter. Mona Zaki, eine der Hauptdarstellerinnen, wurde zum Ziel einer eigentlichen Diskreditierungskampagne. Aufgrund einer – aus liberaler Sicht – völlig harmlosen Szene, die davon handelt, wie sie ihre Unterhose auszieht, ohne jedoch Nacktheit zu zeigen. In den sozialen Medien zeigten die konservativen Kommentatoren ihre Entrüstung über die beliebte Schauspielerin. Ein Hashtag mit ihrem Namen (#monazaki) führte innerhalb weniger Tage zu mehr als 17’000 Tweets und Kommentaren.

Die Empörung über den Film ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Skandalisierungskampagnen in die sozialen Medien verlagern, wie sozialer Druck auf Parlamente und Institutionen ausgeübt wird – und was geschieht, wenn internationale Streamingdienste in nationalen Filmmärkten agieren und dabei vermeintlich vorherrschende kulturelle Werte herausfordern.

Die angekündigte Referentin – Serena Tolino – fällt aus. Der Kurator der Filmreihe, Martin Bürgin, wird an ihrer Stelle in den Film und seine Skandalisierung einführen. Bürgin ist Historiker und Religionswissenschaftler an den Universitäten Bern und Zürich.

Die Filmvorführung findet statt in Kooperation mit der schweizweiten «Woche der Religionen».