Jean-Marie Musy / Franz Riedweg | 1938 | 77 Min. | DE
05.10.2023 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr
«Die Rote Pest» ist ein antikommunistischer und antibolschewistischer Propagandastreifen aus dem Jahr 1938 mit antisemitischem Grundton. Produziert wurde er durch den katholisch-konservativen Ex-Bundesrat und Nationalrat Jean-Marie Musy und dessen rechtsextremem Privatsekretär, Franz Riedweg.
Zusammen orchestrierten sie die «Schweizerische Aktion gegen den Kommunismus», die sich unter anderem für ein Verbot der Kommunistischen Partei in der Schweiz einsetzte. Ein Verbot, das in Neuenburg, Genf und der Waadt auch zustande kam. Mit einem eigenen Film wollten sie die Massen gegen den Kommunismus mobilisieren. Dazu liessen sie international antikommunistisches Filmmaterial zusammenstellen, arrangierten dieses dramaturgisch, versahen es mit Begleittexten und liessen es in den etablierten Bavaria-Studios professionell schneiden und synchronisieren. Die Produktionskosten beliefen sich anscheinend auf rund 180’000 Schweizer Franken, was «Die Rote Pest» zum damals teuersten Film der Schweiz machte.
Der Film wurde in unterschiedlichen Ländern gezeigt und existiert in mehreren Sprachfassungen. Eine spanische Version soll Musy dem spanischen Diktator Francisco Franco persönlich überreicht haben. Obwohl «Die Rote Pest» als «Aufklärung der Massen» gedacht war, kommt es schliesslich nur zu Vorführungen vor geladenen Gästen. Das hing in erster Linie damit zusammen, dass für die im Film verwendeten Wochenschau-Ausschnitte keine kommerziellen Rechte erworben wurden. Wobei Pressevorführungen – mit Journalist:innen unterschiedlicher Couleur – offensichtlich als Privatvorführungen gewertet wurden. Deren Berichterstattung führte schliesslich zu einer öffentlichen Debatte des Films. Wobei sich dessen Bewertung entlang der politischen Lager richtete:
Rechtskonservative und frontistische Blätter applaudierten dem Film und werteten ihn als wichtigen Beitrag zur politischen Meinungsbildung. Die linken Zeitungen verdammten «Die Rote Pest» als faschistische Propaganda und Musy als Nazi-Sympathisanten. Die bürgerlich-liberale Basler National-Zeitung schrieb: «Man versteht eigentlich nicht recht, warum mit diesem Film eine solche Geheimnistuerei getrieben wird. Die Leute um Musy wollen doch das Volk vor einer angeblich ungeheuren Gefahr warnen; sie sollten daher möglichst vielen diese Aufklärung zukommen lassen – tatsächlich empfinden sie wohl selbst, dass der Film in seiner krassen Einseitigkeit auf viele Zuschauer direkt provozierend wirken müsste.»
Da sich Musy und Riedweg nicht zur Finanzierung des Films äusserten, wurde darüber spekuliert, dass der Film mit Geldern aus dem nationalsozialistischen Deutschland oder dem faschistischen Italien produziert wurde. Für negative Presseberichterstattung im linken und liberalen Spektrum sorgte Riedwegs persönlicher und politischer Werdegang. 1938 heiratete er Sybille von Blomberg, die Tochter des Reichskriegsministers und Generalfeldmarschalls Werner von Blomberg, zog nach Berlin und trat freiwillig in die Schutzstaffel ein, im Rang eines SS-Obersturmbannführers.
Auch Musys Verbindungen zu hochrangingen Nazis, wie etwa Heinrich Himmler, wurden medial debattiert. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkte sich die Kritik am Film und dessen Produzenten. Musy, der 1934 nach Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen aus dem Bundesrat zurücktrat, wurde in den Parlamentswahlen von 1935 in den Nationalrat gewählt. Bei den Wahlen, die Ende Oktober 1939 – knapp zwei Monate nach Kriegsbeginn – stattfanden, war das nicht mehr der Fall. «Die Rote Pest» wurde 1940 von der kriegsbedingt existierenden nationalen Zensurbehörde verboten.
Dieses Verbot kann allerdings nicht als prokommunistische Parteinahme gelesen werden. Wenige Monate nach dem Verbot von «Die Rote Pest» wurde die Kommunistische Partei der Schweiz landesweit verboten. Es ist viel mehr den nationalsozialistischen und faschistischen Verstrickungen der beiden Produzenten und einem Verbot frontistischer Propaganda geschuldet. Die antikommunistischen, antibolschewistischen und antisemitischen Positionen, die im Film zum Tragen kommen, fanden in der Schweiz durchaus Gehör.
Rhea Rieben führt in die Rezeption des Films ein, spricht über Antikommunismus als Brückenschlag zwischen bürgerlichen Parteien und extremer Rechten, Kommunismus als Projektionsfläche und antisemitische Bildwelten im (schweizerischen) Antibolschewismus der Zeit.