Cyankali

Hans Tintner | 1930 | 91 Min. | DE
18.01.2024 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Mit dem Film «Cyankali» legte der Regisseur Hans Tintner 1930 ein Plädoyer für die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs vor. Der Film wurde in der Presse der Weimarer Republik heftig diskutiert. Die Zensurbehörde ordnete mehrere Schnittmassnahmen an. Während des Umschneideprozesses formte Tintner den Film von einem Stummfilm zu einem Teiltonfilm um. Das markiert nicht nur eine filmtechnische Neuerung, sondern zeugt auch von einem kreativen Umgang mit den Restriktionen der Zensurbehörden. Daniel Wiegand, Professor für Filmwissenschaft an der Universität Zürich, führt in den Entstehungsprozess und die Rezeption des Films ein.

Hans Tintners «Cyankali» (1930) basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück (1929) von Friedrich Wolf. Film wie Theaterstück thematisieren soziale Not und ungewollte Schwangerschaft – und plädierten für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in sozialer Notlage. Diese Position wurde in der medialen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Das Theaterstück und der Film wurden eng aufeinander abgestimmt, wobei der Film stärker auf die sozialen Ursachen von Armut eingeht. So meinte Hans Tintner zu seiner filmischen Inszenierung: «Ich habe mich in diesem Film fast sklavisch an das Theaterstück gehalten. Von den wesentlichen Szenen des Stücks habe ich das Manuskript in engster Zusammenarbeit mit dem Verfasser des Stücks, Dr. Friedrich Wolf, geschrieben. Während das Stück auf der Bühne mehr die privaten, familiären Verhältnisse einer Familie schildert, habe ich im Film die Möglichkeit gehabt, weit mehr auf die sozialen Ursachen einzugehen.»

Film wie Theater stellen die junge Hete Fent und ihren Verlobten Paul ins Zentrum der Handlung. Beide arbeiten in derselben Fabrik, Hete als Büroangestellte, Paul als Fabrikarbeiter. Als Paul gemeinsam mit anderen Arbeitern eine Lohnerhöhung einfordert, wird ihm gekündigt. Die beiden haben keine gemeinsame Wohnung in Aussicht und befürchten, ohne Einkommen nicht für ein Kleinkind sorgen zu können. Hete beschliesst, eine Abtreibung vorzunehmen. Die Ärzte verweigern einen Eingriff. Daraufhin sucht sie eine «Engelmacherin» auf, die ihr Cyankali verabreicht. Die Dosis ist falsch bemessen. Hete stirbt qualvoll an einer Vergiftung.

Anders als das Theaterstück wurde der Film zeitweilig von der Polizei verboten. Die Zensurbehörde ordnete mehrmals Schnittauflagen an. Filmhistorisch ist «Cyankali» allerdings nicht nur aus thematischer und rezeptionsgeschichtlicher Perspektive spannend, sondern auch, weil er filmtechnisch einen Moment des Übergangs markiert: Konzipiert wurde «Cyankali» als Stummfilm. Im Verlauf der Dreharbeiten experimentierte Tintner aber mit den Möglichkeiten des Tonfilms. Das zeigt sich denn auch im Film selbst, der als Stummfilm beginnt und als Tonfilm endet. Der Film stellt also ein Hybridmedium dar, ein «part-talkie» wie der Filmwissenschaftler Daniel Wiegand in seinem Artikel «Islands of Sound in the Silent Flow of Film» schreibt. Wiegand beschreibt dabei, wie die Umstellung des Films auf einen Teiltonfilm zwar während des von der Zensurbehörde geforderten Umschneideprozesses erfolgte; wobei diese Umstellung wohl keine unmittelbare Reaktion darauf gewesen sei, sondern vielmehr darauf zielte, die Überzeugungskraft des Films zu erhöhen. So führten die Ergänzungen auf der Tonspur zu einer weitaus drastischeren Darstellung der Abtreibung – und der damit verbundenen Ereignisse. Was dann wiederum von den Zensoren beanstandet wurde und zu neuen Auflagen führte. Eine detaillierte Betrachtung des Wechselspiels von Zensurmassnahmen, technischer Neuerung und künstlerischer Adaption weist auf den kreativen Umgang des Regisseurs mit den Auflagen der Zensurbehörde hin. Gleichzeitig lässt sich aufgrund der Reaktionen auf den Film reflektieren, inwiefern sozialmoralische Skandalisierung und Tonerlebnis zusammenspielen.

Daniel Wiegand wird in den Entstehungsprozess und die Rezeption des Films einführen. Er ist Professor für Filmwissenschaft an der Universität Zürich – und hat sich intensiv mit «Cyankali» auseinandergesetzt.