Viridiana

Luis Buñuel | 1961 | 90 Min. | ES/de
20.11.2025 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Eine raffinierte Kontemplation über Moral, Frömmigkeit, Lust und Gewalt. Einzelne Szenen und Bilder riefen die Kritik der römisch-katholischen Kirche und die Zensoren der spanischen Diktatur auf den Plan.

Luis Buñuel hat mit seinen Filmen regelmässig für Furore gesorgt. Mit 29 drehte er das surrealistische Meisterwerk «Un Chien Andalou». Ein Jahr später brachte er «L’Âge d’Or» ins Kino, eine beissende Satire auf die bürgerliche Kultur, den Klerus und den Kapitalismus. Eine Aufführung im Pariser «Studio 28» wurde von einem wütenden Mob attackiert, der Kinosaal verwüstet und eine vor dem Kino gezeigte Ausstellung surrealer Kunst zerstört. Zensurbehörden unterschiedlicher Länder beschlossen, den Film zu verbieten. Als Buñuel «Viridiana» in die Kinos brachte, war er bereits 61 Jahre alt. Einen Grossteil seines Lebens hat der spanische Regisseur im Exil verbracht. Ende der 1950er-Jahre strebte das diktatorische Regime unter Francisco Franco danach, ein liberaleres Erscheinungsbild an den Tag zu legen. Die Kulturpolitik sollte weniger restriktiv sein. Buñuel wurde ein Leben ohne Repressalien versprochen. Eine Rückkehr des berühmten Regisseurs sollte die kulturelle Wende unterstreichen. Buñuel nahm das Angebot wahr. Das bedeute allerdings nicht, dass er einen Film produzierte, welcher dem Geschmack des Regimes entsprach.

«Viridiana» ist eine raffinierte Kontemplation über Moral, Frömmigkeit, Lust und Gewalt. Der Film handelt von Viridiana, einer jungen Frau, die kurz davorsteht, in eine Klostergemeinschaft einzutreten. Don Jaime, ihr Onkel, bittet sie, ihn noch einmal zu besuchen, bevor sie in den Orden aufgenommen wird. Er meint, in Viridiana seine verstorbene Ehefrau zu erkennen, was in ihm ein eigentümliches Begehren aufkommen lässt. Er bittet Viridiana, das Hochzeitskleid seiner verstorbenen Frau für ihn zu tragen, was diese auch tut. Seinen darauffolgenden Heiratsantrag lehnt sie aber ab. Don Jaime betäubt Viridiana um sie zu vergewaltigen. Ein Moment der Einsicht hält ihn zwar davon ab; am nächsten Morgen behauptet er jedoch, Viridiana entjungfert zu haben, in der eigenartigen Hoffnung, Viridiana liesse sich dadurch abhalten, eine Nonne zu werden. Viridiana ist schockiert und verlässt das Anwesen. Don Jaime erkennt, was er getan hat, schämt sich zutiefst – und erhängt sich im Garten seines Anwesens. Das führt nun aber dazu, dass Viridiana an ihrem Eintritt ins Kloster zweifelt. Sie kehrt zurück und macht das Landgut zu einem Asyl für Notleidende. Allerdings gestaltet sich die Wohngemeinschaft zwischen Viridiana, ihrem Cousin, dessen Freundin, den Hausangestellten und den aufgenommenen Obdachlosen alles andere als harmonisch.

Dieses Zusammenleben und seine Exzesse stehen im Zentrum des Films. Buñuel liefert aber keine einfach zu entschlüsselnde Geschichte. «Viridiana» ist eine Meditation über sexuelles Begehren, materielle Besitzverhältnisse und immaterielle Werte, die auf eine klare Botschaft verzichtet. Entsprechend wurde «Viridiana» sehr unterschiedlich interpretiert, was in Bezug auf die Handlungsebene aber kaum zu Kontroversen führte. Völlig anders verhielt es sich in Bezug auf die Bildwelten, die Buñuel inszenierte. «Viridiana» liefert zahlreiche Szenen, die als ikonische Kompositionen in die Filmgeschichte eingingen. Viridiana, die mit Dornenkrone posiert. Kinder, welche das Selbstmordseil von Don Jaime zum Seilhüpfen nutzen. Das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci als Vorlage für ein betrunkenes Gelage. Eine Orgie zu Händels «Halleluja».

Die römisch-katholische Kirche war davon wenig begeistert. Die vatikanische Tageszeitung «L’Osservatore Romano» sah in «Viridiana» ein blasphemisches Werk. Die katholische Kirche von Spanien intervenierte beim Franco-Regime und setzte ein Aufführungsverbot durch. Eine Zerstörung der originalen Filmnegative konnte nur deshalb verhindert werden, weil eine ausländische Produktionsfirma an der Post-Produktion des Films beteiligt war. «Viridiana» wurde in Spanien erst 1977 aufgeführt, als Diktator Franco bereits tot war. Auch in anderen Ländern übten katholische Organisationen Druck auf staatliche Stellen und Filmverleiher aus, was zu unterschiedlichen Zensurmassnahmen, Filmkürzungen oder alternativen Filmenden führte.

Auf der anderen Seite wurde «Viridiana» von der Kritik hochgelobt. Am Filmfestival von Cannes erhielt er 1961 die «Palme d’Or» zusammen mit Henri Colpis «Une aussi longue absence». Filmhistoriker:innen handeln «Viridiana» als Meisterwerk der Filmgeschichte. Auch religiöse Interpretationen decken sich nicht zwangsläufig mit dem damaligen Blasphemievorwurf von römisch-katholischer Seite. So empfahl der evangelische Filmbeobachter den Film ausdrücklich für kirchliche Bildungsarbeit. In seiner Filmkritik zu «Viridiana» hielt er 1962 fest:

«Ein gesellschaftskritischer Film, der am Beispiel einer dem Kloster entlaufenen Nonne aufzeigt, wie auch das bestgemeinte Handeln zum Scheitern verurteilt sein kann. Ein Film voll harter, aber nicht liebloser oder gar zersetzender Kritik. Erwachsenen zum Nachdenken und möglichst auch zur Aussprache in kirchlichen Kreisen empfohlen.»

Darüber diskutiert «royalscandalcinema» gemeinsam mit Moisés Mayordomo. Er ist Professor für Neues Testament an der Universität Basel und ein grosser Kenner des Werks von Luis Buñuel. Die Veranstaltung findet statt in Kooperation mit der schweizweiten «Woche der Religionen».