Assi Dayan | 1992 | 100 Min. | HE/en
10.09.2020 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr
Der Skandalfilmzyklus «royalscandalcinema» startet am 10. September 2020 mit «Ha-Chayim Al-Pi Agfa (Life according to Agfa)» in die neue Saison. Der Film gilt als Schlüsselwerk, um die vielschichtige Gesellschaft Israels zu verstehen. Eingeführt wird er durch Natan Sznaider, Professor für Soziologie am Academic College Tel Aviv-Yaffo und Autor des Buchs «Gesellschaften in Israel: Eine Einführung in zehn Bildern».
Eine lange Nacht in einer Bar in Tel Aviv. Hier treffen arabische und jüdische Israelis, Frauen und Männer, liberale Bohemiens und nationalistische Soldaten, Aschkenasim und Mizrachim aufeinander. Die Bar heisst Barbie – wie der Kosename der nahegelegenen psychiatrischen Anstalt. Mit Neurosen unterschiedlichster Art, Verzweiflung, Lebenshunger, Widersprüchen, Träumen, Aggressionen und Begehren sind auch die Besucher*innen der Bar beschäftigt.
Daliah, die Chefin, träumt davon, dass ihr Liebhaber für immer bei ihr bleibe, tröstet sich derweil, indem sie junge Männer verführt. Ihr Liebhaber ist verheiratet und leidet an Krebs, ist allerdings nicht in der Lage, darüber zu sprechen. Die Barfrau Liora verzweifelt an ihrem Freund, der sie immer und immer wieder betrügt. Daniela wünscht sich fort nach Amerika; mit Kokain hält sie sich fit für ihre Barschicht. Riki strandet in der Bar, nachdem sie vor Mann, Kind und Kibbutz geflüchtet ist. Die Jüdinnen am Tresen und die Araber in der Küche pflegen einen liebevollen Umgang.
Als eine Gruppe Armeeangehöriger die Bar besucht, heizt sich die Stimmung auf. Sie belästigen die anwesenden Frauen und grölen chauvinistische Soldatenlieder. Der Sänger Czerniak bietet mit satirischen Songs Paroli. Eine explosive Konfrontation bahnt sich an. Barfrau Liora hält den Abend mit ihrer Kamera fest – auf Agfa. Jedes Mal, wenn sie ein Foto schiesst, stoppt das Geschehen für einen Moment. Ihre Bilder zeigen den Mikrokosmos der israelischen Gesellschaft und die Spirale der Gewalt, in welcher die Bar im Laufe des Abends eingesogen wird.
Für Kontroversen sorgte der Film auf verschiedenen Ebenen. Zentraler Kritikpunkt war, dass es Soldaten der israelischen Armee sind, die hier als Aggressoren auftreten. Betrachtet man die Bar als Metapher einer Gesellschaft, sind sie es, welche den Frieden und die gegenseitige Akzeptanz zerstören. Assi Dayan, der Regisseur, stellte sich mit «Ha-Chayim Al-Pi Agfa» gegen das Bild des heldenhaften israelischen Soldaten, das die filmischen Diskurse Israels prägte. Damit zusammen hängt eine zweite Interpretationsebene. Als Schauspieler spielte Dayan oftmals selbst den heroischen Soldaten. Gleichzeitig war er im realen Leben der Sohn von Mosche Dayan, dem israelischen Kriegshelden par excellence.
In seinem Buch «Gesellschaften in Israel» schreibt der israelische Soziologe Natan Sznaider dazu: «Im Bild der Grausamkeit der Soldaten wird das Heldenepos des entstehenden Staates zur Erbsünde umgeschrieben. […] Und das in einer Zeit, als in Israel der Friedensprozess begann und viele Israelis glaubten, dass die Gesellschaft sich von ihrer heldenhaften Vorgeschichte langsam in einen bürgerlichen Frieden vorwärtstaste.»
Im Rahmen von «royalscandalcinema» hätte er auch die Einführung zum Film und dessen Skandalisierung halten sollen. Sznaider ist Professor für Soziologie am Academic College of Tel-Aviv-Yaffo. Wegen Reisewidrigkeiten und Quarantäneverordnungen in Zeiten von Corona hätten wir auf eine Zoom-Schaltung gesetzt. Auch diese ist leider ins Wasser gefallen. Aus persönlichen Gründen ist Natan Sznaider kurzfristig verhindert. An seiner Stelle wird Martin Bürgin in den Film einführen. Neben seinem Engagement für «royalscandalcinema» (er würde es wohl gerade umgekehrt darstellen), forscht und lehrt er an der Universität Zürich mit einem Schwerpunkt auf Jüdische Geschichte. Die Geschichte Israels gehört zu seinen Steckenpferden. Der (wohl etwas anders gelagerte) Beitrag von Natan Sznaider wird sich gegen Ende des Filmzyklus in unserer Anthologie zu Skandalgeschichten um Film und Kino nachlesen lassen.
Der Film wird in hebräischer Originalsprache mit englischen Untertiteln vorgeführt.