Çayan Demirel / Ertuğrul Mavioğlu | 2015 | 92 Min. | TR/KU/de
08.05.2025 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr
Staatliche Zensur am Istanbul Film Festival. Haftstrafen für die beiden Regisseure. Ein Dokumentarfilm, der hohe Wellen schlug. «Bakur» ist ein einfühlsames Portrait kurdischer Widerstandskämpfer:innen, ihres Alltags und ihrer Überzeugungen.
Der Siedlungsraum der Kurd:innen ist heute über die Türkei, Armenien, Iran, Irak und Syrien verteilt. Im Kurdischen werden diese Gebiete mit den jeweiligen Himmelsrichtungen bezeichnet. «Bakur» für Norden, «Rojhilat» für Osten, «Başûr» für Süden und «Rojava» für Westen. Das Ziel der kurdischen Widerstandskämpfer:innen ist die Vereinigung dieser Gebiete und die Schaffung eines unabhängigen Kurdistans. Der Dokumentarfilm «Bakur» widmet sich den Aufständischen im Gebiet der Türkei. Der türkische Journalist Ertuğrul Mavioğlu und der kurdische Regisseur Çayan Demirel haben den Film gemeinsam produziert. Die PKK gewährte ihnen Zugang zu den Lagern der Guerilla. Entstanden ist ein seltener Einblick in das Leben der Widerstandskämpfer:innen. Männer und Frauen berichten über ihr Leben als Partisan:innen. Sie philosophieren über Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Im April 2015 sollte «Bakur» am Internationalen Filmfestival von Istanbul Premiere feiern. Wenige Stunden vor der Aufführung wurde die Festivalleitung angewiesen, den Film aus dem Programm zu nehmen. Andernfalls würden rechtliche Konsequenzen drohen. Die Regierungsbeamten begründeten ihre Intervention mit damit, dass keine offizielle Anmeldung für die Vorführung vorliege. Azize Tan, die Leiterin des Festivals, räumte ein, dass das geforderte Zertifikat tatsächlich fehlte, wies aber auch darauf hin, dass dies auch für andere Filme im Programm zutraf.
Aus Protest gegen die staatliche Einflussnahme formierte sich eine breite Solidaritätswelle. 23 Regisseur:innen zogen ihre Werke aus dem Festivalprogramm zurück. Die Jury trat zurück. Die Festivalleitung erklärte alle Wettbewerbe für beendet. Die feierliche Abschlussgala wurde abgesagt. Es war das erste Mal in der dreissigjährigen Geschichte des Festivals, dass kein Filmpreis vergeben wurde. In einem offenen Brief prangerten über hundert Filmschaffende das Vorgehen der Regierung an und warfen ihr vor, die Aufführung des Films aus politischen Gründen zu unterdrücken.
Tatsächlich griffen die Behörden wohl ein, um politische Zensur auszuüben. Zwar wurden in der Türkei schon diverse Filme über die verbotene Arbeiterpartei PKK und den bewaffneten Widerstand der Kurd:innen vorgeführt – auch mit Aufnahmen aus den Ausbildungslagern der Guerilla. Allerdings handelte es sich dabei immer um kurdische Gebiete ausserhalb der Türkei. Ein Film, der das Verhältnis zwischen Bevölkerung und PKK-Kämpfern auf türkischem Boden dokumentiert, wurde noch nie öffentlich gezeigt.
Vertreter der Regierungspartei sprachen zwar bereits während des Eklats um das Istanbul Film Festival von «Bakur» als kurdischer Terrorpropaganda. Der Staatsapparat reagierte jedoch zunächst kaum auf die Kritik der Kulturschaffenden. Der Film wurde auf internationalen Filmfestivals gezeigt, unter anderem in Stockholm, Montreal, Mexiko-Stadt, Kathmandu und am «Visions du Réel» in Nyon. Auch in der Türkei wurde der «Bakur» mehrfach vorgeführt.
Drei Jahre später änderte sich die Haltung der Behörden. 2018 forderte die Staatsanwaltschaft der Region Batman die Verurteilung von Çayan Demirel und Ertuğrul Mavioğlu wegen «Propaganda für eine terroristische Organisation». 2019 wurden die beiden schliesslich zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. In einem von lokalen und internationalen Protesten begleiteten Berufungsverfahren wurden Demirel und Mavioğlu 2022 schliesslich freigesprochen.
Die beiden Sozialanthropologinnen Isabel Käser und Sabine Strasser von der Universität Bern führen in den Film und die Debatten ein, die er ausgelöst hat. Isabel Käser hat zu kurdischen Frauen im Freiheitskampf gearbeitet und Feldforschung vor Ort betrieben. Sabine Strasser hat zur transnationalen Politik türkischer und kurdischer Aktivist:innen geforscht. Gemeinsam diskutieren sie türkische und kurdische Perspektiven auf «Bakur».