Otakar Vávra | 1970 | 107 Min. | CS/de
09.01.2025 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr
Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert als Parabel auf stalinistische Schauprozesse im 20. Jahrhundert. Otakar Vávra produzierte mit «Kladivo na čarodějnice» eine subversive Kritik an der Machtpolitik der Sowjetunion, die kurz nach ihrem Kinostart aus dem Verkehr gezogen wurde. Heute gehört «Kladivo» zum Kanon des tschechischen Films.
Ende des 17. Jahrhunderts wendet sich eine böhmische Gräfin auf Anraten ihres Pfarrers an die Inquisition, um einen angeblichen Fall von Hexerei untersuchen zu lassen. Doch die Anwesenheit des Inquisitors verändert die soziale Ordnung im Herrschaftsgebiet der Gräfin radikal. Der machthungrige Ermittler führt eine Reihe von Schauprozessen. Er weitet seine Ermittlungen stetig aus, lädt weitere Zeugen und Zeuginnen vor, dreht ihre Aussagen nach seinem Gusto zurecht, konstruiert Prozesse, greift zur Folter und fabriziert so jene Geständnisse, die er hören will. Um sich zu bereichern, schreckt der Inquisitor nicht davor zurück, das Leben Unschuldiger zu opfern. Schliesslich richten sich seine Ermittlungen auch gegen die Gräfin und den Pfarrer, die ihn ursprünglich um Hilfe gebeten hatten.
Das Drehbuch des Films basiert auf Václav Kaplickýs Roman «Kladivo na čarodějnice» und auf Gerichtsakten zu böhmischen Hexenprozessen in den Jahren 1678 bis 1695. Gleichzeitig sind Buch wie Film als Allegorie auf die politischen Prozesse in der Tschechoslowakei der 1950er Jahre zu betrachten, die politischen Verfolgungen unter Stalin (1951) und den sogenannten Slánský-Prozess (1952). Dabei handelte es sich um einen antisemitischen Schauprozess gegen 14 führende Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, darunter deren Generalsekretär Rudolf Slánský. Den Angeklagten wurde die Beteiligung an einer «trotzkistisch-zionistischen Verschwörung» vorgeworfen. Der Ausgang des Prozesses stand von vornherein fest. Die Geständnisse wurden vom Geheimdienst vorgefertigt und erzwungen. Die verhängten Strafen waren drastisch: Elf Angeklagte wurden gehängt, drei zu lebenslanger Haft verurteilt.
Zwischen 1960 und 1963 wurden die Prozesse wieder aufgenommen und die Verurteilten rehabilitiert. Die tschechoslowakische Öffentlichkeit wurde 1968 über den Verlauf des Prozesses informiert. Ein Jahr später begannen die Dreharbeiten zu «Kladivo». 1970 kam der Film in die Kinos. In der Zwischenzeit hatte sich die politische Grosswetterlage erneut verändert. Die Versuche, in der Tschechoslowakei einen «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» zu schaffen, wurden von den einmarschierenden Truppen des Warschauer Paktes niedergeschlagen. Kritische Filme unterlagen wieder der Zensur. Das galt auch für «Kladivo». Kurz nach seinem Kinostart im Januar 1970 wurde er aus dem Verkehr gezogen. Erst 1989 kam er wieder in die Kinos. In den wenigen Wochen, in denen «Kladivo» gezeigt wurde, hätten ihn allerdings rund 1,5 Millionen Kinobesucher:innen gesehen, schreibt der tschechische Historiker David Pokorný. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 9,8 Millionen Einwohner:innen entsprach das einem grossen Publikum.
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 emigrierten viele Filmschaffende. Vávra blieb und passte sich dem neuen Regime an. Von 1973 bis 1976 drehte er mit «Dny zrady», «Sokolovo» und «Osvobození Prahy» eine Trilogie über den Zweiten Weltkrieg, die dem Geschichtsbild der Sowjetunion entsprach. Darin interpretierte er den tschechischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten entsprechend der kommunistischen Propaganda und den Einmarsch der Roten Armee als Befreiung der Tschechoslowakei. Das kam bei der sowjetischen Führung gut an. «Dny zrady» wurde 1973 beim Moskauer Filmfestival ausgezeichnet. «Kladivo» wurde verziehen. Die Subventionen flossen wieder.
Regimekritische Tschech:innen betrachteten Vávra – das ehemalige Idol – allerdings als Opportunisten, der seine Filme den jeweiligen Machthabern anpasste. Tatsächlich produzierte Vávra, der von 1911 bis 2011 lebte und von 1934 bis 2002 Regie führte, sowohl unter den Nazis als auch unter den Sowjets erfolgreiche Filme. Der tschechische Filmkritiker Kamil Fila meinte anlässlich des hundertsten Geburtstags von Vávra in einem Interview mit Radio Prague International: «Otakar Vávra is a living memory of Czech cinema. […] Unfortunately, what happened to him was that with his growing ambitions and power, he made movies that were increasingly in line with the regime’s interpretation of history. […] His efforts to make artistic movies and avoid commercial movies and things for TV, that perhaps deserves admiration, and so do his hard work and drive. But there are some eight or ten of his movies that are really perverse.»
Dennoch bleibt «Kladivo» ein beeindruckender Film. Beim Filmfestival in Mar del Plata wurde er als bester Spielfilm ausgezeichnet. Bei Publikumsumfragen zu den besten tschechischen Filmen landete er wiederholt auf den vorderen Plätzen, zuletzt 2017 in einer Erhebung der Zeitschrift «The Prague Reporter». Georg Escher führt in den Film und seine Rezeptionsgeschichte ein. Escher ist Dozent am Slavischen Seminar der Universität Basel. Er hat intensiv zur tschechischen Literatur- und Kulturgeschichte geforscht.