Eduard Tissé | 1930 | 71 Min. | DE
06.10.2022 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr
Am 6. Oktober 2022 zeigt «royalscandalcinema» den Schweizer Film «Frauennot – Frauenglück» von Eduard Tissé. Der Film kontrastiert die Gefahren illegaler Abtreibungen mit den hygienischen Bedingungen einer modernen Frauenklinik. 1930 ein höchst umstrittener Film. Heute leider wieder genauso aktuell. Einführung durch Carolin Arni, Geschichtsprofessorin an der Universität Basel und Autorin des Buchs «Pränatale Zeiten».
In seiner ersten Regierarbeit kontrastiert Eduard Tissé – der langjährige Kameramann von Sergei Eisenstein – die Gefahren illegaler Abtreibungen mit den hygienischen Bedingungen einer modernen Geburtsstation. Der 1930 in der Schweiz produzierte Film provozierte in mehrerlei Hinsicht Kritik: Aufnahmen von Abtreibungen, aber auch von Kaiserschnitten und vaginalen Geburten provozierten die Sehgewohnheiten des Publikums. Konservative Kreise betrachteten ihn als Plädoyer für eine Legalisierung der Abtreibung. Sie empörten sich zudem darüber, dass der Film die «Mutterschaft entweihe», indem sie «den heiligen Moment der Geburt einem breiten Publikum offenbare». Auch wurde befürchtet, dass der Film bei jungen Frauen Angst vor einer Geburt schüre. Berichte über Ohnmachtsanfälle im Kino wurden begleitet von der Aussage, der Film an sich sei gesundheitsgefährdend.
Die Zensurgremien liessen den Film vielerorts nur nach umfänglichen Kürzungen zu. Weibliche Geschlechtsteile – und somit die vaginale Geburt – sollten nicht gezeigt werden. In einzelnen Regionen Deutschlands durfte der Film nur gezeigt werden, wenn ein wissenschaftlicher Vortrag den Film einführte. Die Regierungen von Bayern, Thüringen und Baden stellten einen Antrag für ein Komplettverbot des Films. In der Schweiz protestierte eine Vielzahl an bürgerlichen Frauenorganisationen gegen den Film. Die «Frauenzentrale» schrieb in der NZZ: «Eine unglaubliche Rohheit wird gegenwärtig in Zürich begangen […] Machen wir denn wirklich vor nichts Heiligem mehr Halt?» und forderte die Leser:innen auf, gegen den Film zu demonstrieren. Die Kantone Aargau, Bern, Schaffhausen und Thurgau verboten den Film. Basel-Stadt liess ihn mit einigen Kürzungen zu. Zürich liess ihn erst zu, reagierte aber auf die Proteste und erliess ein nachträgliches Aufführungsverbot.
Dagegen wiederum richtete sich die Linke, die «Frauennot – Frauenglück» als wichtigen Aufklärungsfilm erachtete. Das Volksrecht schrieb über die bürgerlichen Politiker und ihren Entschluss: «Dass eine wirkliche Frauennot besteht, davon wollen die Herren nichts wissen, dass dieser Frauennot abgeholfen werden soll, das will ihnen nicht in den Kopf. O, sie besteht ja nur für die Proletarierfrau, für das arme Mädchen! Wer über die nötigen Hunderter verfügt, muss nicht zur Pfuscherin, muss nicht Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen, braucht nicht das Zuchthaus zu riskieren.» Schliesslich gab die Zürcher Regierung den Film mit Schnittauflagen wieder frei. Ebenso jene von Schaffhausen. Geschnittene Versionen – teilweise auch solche mit zusätzlich aufgenommenen Szenen – kamen auch in Deutschland, Österreich, Frankreich und den Vereinigten Staaten in die Kinos. Jeweils in unterschiedlichen Fassungen, welche die jeweiligen Debatten und Zensurgesetze widerspiegeln. In Deutschland wurde «Frauennot – Frauenglück» zum Kassenschlager des Jahres 1930.
Retrospektiv kann der Film als früher und wichtiger Beitrag zur Debatte um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen betrachtet werden. Ein Thema, das in Bezug auf die neuen Abtreibungsgesetze in den USA, die beiden eidgenössischen Volksinitiativen «Einmal darüber schlafen» und «Lebensfähige Babys retten» oder den «Marsch für s’Läbe» wieder hochaktuell sind. Eingeführt werden der Film und seine Skandalisierung durch Caroline Arni, Geschichtsprofessorin an der Universität Basel. Arni ist Autorin des Buchs «Pränatale Zeiten: Das Ungeborene und die Humanwissenschaften (1800-1950)».